Es mag ein Zufall sein, witzig ist es doch: Nach Wilhelm Raabe und Otto Elster greift nun Patricia Dohle – ein weiterer Vogel aus der Familie der Corviden – zur Feder. Nicht aus dem selben Nest wie die beiden bekannten Eschershäuser, aber gleich um die Ecke in Lenne geboren, fühlte auch „die Dohle“ sich schon früh von der Schreiberei angezogen. Während andere Kinder sich ihre Welt durch Vorlesen und selber Lesen ihre Welt eher passiv erschlossen, erfand Patricia selber Geschichten und schrieb sie nieder, sobald sie des Schreibens fähig war. Als Teenager versuchte sie es dann mit Musik, erkannte aber bald, dass die Schreiberei doch eher ihr Ausdrucksmittel war. An Veröffentlichung dachte sie dabei noch nicht, das empfahlen ihr erst Freunde und Verwandte. Im Alter von 19 Jahren brachte sie ihr erstes Buch auf den Markt. Die gute Resonanz war Ansporn genug, weiterzumachen. Ihr viertes Buch „Defenseless“ stellte die mittlerweile 25Jährige nun im Alten Rathaus Stadtoldendorf vor. Vielleicht war der Zeitpunkt unglücklich gewählt, die Coronazahlen schnellen wieder nach oben, allein am Tag der Lesung gab es 12 krankheitsbedingte Absagen. Aber auch den wenigen Leuten präsentierte Patricia Dohle sich gut gelaunt und führte ihr Publikum gekonnt in ihr neues Werk ein. In „Defenseless“ wagte sie es, beide Protagonisten, eine Journalistin und einen Basketballer, aus der Ich-Perspektive zu erzählen. „Besonders der männliche Part war eine Herausforderung. Wir Frauen kennen uns, aber niemand weiß, wie Männer denken“ witzelte sie. Es gelang ihr dann doch ganz gut, in die Männerwelt des Leistungssports einzutauchen und der Leserschaft glaubwürdige Charaktere zu präsentieren. Was Patricia Dohle in ihren jungen Jahren schon sehr gut hinkriegt, ist die Architektur eines Romans. Sie versteht es, eine Geschichte aufzubauen und zu entwickeln, und die Leser an die Hand zu nehmen. Lediglich in der Beschreibung von Gefühlszuständen wünscht man sich stellenweise eine etwas sparsamere Dosierung. Der häufige Griff in den Superlativ mag dem jugendlichen Überschwang geschuldet sein, das sollte sich aber mit den Jahren auswachsen. Die nötigen Anlagen, gute Geschichten zu erzählen, sind reichlich vorhanden und der MKV freut sich, einer talentierten jungen Künstlerin am Anfang ihres Schaffens behilflich sein zu können. „Defenseless“ ist einerseits die Geschichte zweier Menschen, die schon in jungen Jahren ein gehöriges Päckchen zu schleppen haben, die nach und nach hinter die Geheimnisse des Gegenübers kommen und in eine sehr wechselhafte Beziehung geraten. Ein Nebenstrang des Buches, der in die Politik führt, kommt leider ein wenig zu kurz, deutet aber an, dass es der Autorin um mehr geht, als nur über Beziehungen zu erzählen. Das Buch ist der erste Teil einer Trilogie, am zweiten Band wird gerade fleißig gearbeitet. Sogar die Titel der Folgebände verrät Patricia Dohle schon: Mit „Time-Out“ und „Rebound“ werden zwei weitere Begriffe aus dem Basketball als Überschrift stehen.
Zwischen den Lesepassagen ergaben sich anregende Gespräche mit den interessierten Zuhörern. Warum sie ihre Romane mit Vorliebe in Amerika ansiedele, wurde sie gefragt. Das sei zum Teil ihren literarischen Vorbildern Anna Todd und Brittany Cherry zurückzuführen, verrät die Autorin, aber auch ihrem privaten Faible für die vereinigten Staaten. Vor allem aber, so gesteht sie schließlich, wolle sie ihre Geschichten so weit wie möglich von sich und ihrem persönlichen Umfeld wegschreiben. Man dürfe sich in ihren Figuren wiederfinden, doch niemand solle sich eins zu eins wiedererkennen. So habe die Journalistin ein kleines Bisschen von Patricia an sich und ein bisschen mehr von ihrer Schwester. Daraus habe sie ihre „Josefine“ geformt. Wenn das Ganze nun in Boston spiele, sei die Verwechslungsgefahr geringer. Sehr wichtig ist Patricia, so tief wie möglich in ihre Figuren einzudringen. Diese Hinwendung zu ihrem „Personal“ wird beim Lesen spürbar, auch wenn sie das hauptsächlich über die emotionale Schiene sichtbar macht. Defenseless ist ein schönes Buch für herbstliche Mußestunden auf dem Sofa, oder auch lockere Strandlektüre im Urlaub und man darf sich schon auf die Folgeteile freuen. Dennoch sollte unserer Vorfreude die Autorin nicht unter Druck setzen; für die nötige Sorgfalt, die so ein Buch braucht, warten wir gerne ein paar Monate länger.